Ich setzte meinen Fuß in die Luft …

… und sie trug. (Hilde Domin)

Mein Name ist Judith Stumptner, ich bin die neue Leiterin der Programm- und Öffentlichkeitsarbeit und seit 1. März Teil der Münchner Stadtbibliothek. Ich kann versichern, mein Start verläuft komplett anders als erwartet.

So hat mein sorgfältig erdachter 90-Tage-Plan für die Einarbeitung genau viereinhalb Tage überstanden. Dann war Südtirol Risikogebiet und der Urlaub vor Dienstantritt sorgte dafür, dass ich die zweite März-Woche zuhause verbracht habe. Eine weitere Woche später war ich zurück im Büro und nahm die ersten geknüpften Fäden mit den Kolleg*innen wieder auf – nur um nach vier Tagen das gesamte Team ins Homeoffice zu schicken.

Und jetzt? Arbeiten in einer Struktur, die ich noch nicht kenne, mit einem Team, das mich noch nicht kennt, über Plattformen, die kaum eine*r bisher benutzt hatte?

Bei den Überlegungen dazu, wie das gehen könnte, schweifte mein Blick zum Bildschirm. Dort lehnt eine Postkarte, die ich auch meinem Team am ersten Tag mitgebracht habe. Sie zeigt ein Werk des Malers und Illustrators Quint Buchholz. Darauf zu sehen ist ein Junge, der des nachts auf einem Seil dem Vollmond entgegen balanciert. Der Clou dabei: das eine Ende des Seils ist an einem Dachfirst festgemacht, das andere hält er selbst in der Hand. Mit jedem Schritt vorwärts gibt der Junge sich selbst ein weiteres Stück Weg (Wer es googeln möchte, es heißt „Der Giacomond“). Die Inspiration für dieses Bild – so hatte es der Künstler im Januar erzählt – sei eine Zeile von Hilde Domin gewesen, die ihrem ersten Gedichtband von 1959 entstammt: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug.“ Was für eine großartige Bebilderung dieses Zitats!

In der Übergangszeit zwischen altem und neuen Job habe ich dieses Bild immer wieder betrachtet. In Zukunft würde ich also mein Seil nicht mehr vom First der Evangelischen Akademie Tutzing (mein alter Arbeitgeber) über den Starnberger See spannen, sondern vom Dach des Gasteigs Richtung Frauenkirche. Dabei würde ich ins Offene gehen, aber es dennoch in der Hand haben, wohin ich meine Füße setzte. Und ich war mir sicher, das Seil wird halten!

Durch die Entwicklungen der letzten Wochen hat dieses Motiv aber noch einmal eine andere Bedeutung für mich bekommen, denn nun gleicht tatsächlich jeder Schritt einem Balanceakt auf einem ziemlich hohen Seil. Vorsichtig setzt man einen Fuß vor den anderen und schaut sich um. Alles ist plötzlich anders: das Tempo, die Perspektive, die Umgebung und auch das, was wichtig ist, um sich überhaupt bewegen zu können.

Bevor wir uns vor einer guten Woche voneinander verabschiedet haben, haben wir im PÖ-Team ein Brainstorming dazu gemacht, was uns angesichts des bevorstehenden Shutdowns durch den Kopf geht (auf dem Bild unten die ersten 5 Spalten). In einem zweiten Schritt haben wir versucht, daraus Bedürfnisse für die nächste Zeit abzuleiten (die beiden rechten Spalten).

Klar war, es braucht Routine und Alltag trotz des Ausnahmezustands. Es ist wichtig, auch weiterhin in Kontakt zu bleiben und sich auszutauschen. Regelmäßige, seriöse und umfassende Informationen sind notwendig, aber auch Ablenkung sowie Dinge, die unseren Kopf beschäftigen und unser Innerstes berühren.

Aus diesen Überlegungen heraus hat das Team schnell begonnen, die Seile für die eigene (Zusammen-)Arbeit neu zu spannen und erste Schritte ins Offene zu wagen. Manche davon gleichen dabei noch einem vorsichtigen Tasten, andere schon einem recht sicheren Tritt. Ob wir schon bald auf dem Seil tanzen werden, weiß ich nicht. Aber was rasch deutlich wurde ist, dass mit dem Schritt ins Unbekannte auch neue Gedanken einhergehen.

Und so entstand aus dem schon beschriebenen Brainstorming auch die Idee zu dem Projekt, das Sie nun vor sich sehen: Ein interner Blog und ein interner Newsletter, beides dazu gedacht, auch während der Schließung eine Möglichkeit zu haben, alle Mitarbeitenden zu informieren. Aber auch eine Plattform, die es erlaubt, von den individuellen Erfahrungen in diesen seltsamen Tagen zu berichten und miteinander in Kontakt zu bleiben.

Inzwischen gibt es beides schon ein paar Tage und wir konnten erste Erfahrungen sammeln. Daraus sind weitere Überlegungen für den Ausbau entstanden, die wir in den nächsten Wochen umsetzen werden. Wenn Sie Ideen dazu haben, dann melden Sie sich gerne bei Katrin Schuster, sie koordiniert das Projekt: kat.schuster@muenchen.de. Wir freuen uns darüber, das Seil gemeinsam mit Ihnen weiterzuknüpfen.

„Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug“.

Mit dieser wunderbaren Zeile wünsche ich uns allen eine gute und gesunde Woche!

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