Und plötzlich sind wir alle ein Stück diverser

von Sarah Hergenröther / 360°-Agentin für kulturelle Vielfalt und Diversitätsentwicklung

Eigentlich ist das Quatsch, denn wir waren schon immer divers, vielfältig. Und trotzdem scheint es jetzt in der aktuellen Situation besonders sichtbar zu werden. Plötzlich gelten – je nach Familienkontext und Arbeitssituation – für alle ganz verschiedene Bedingungen. Wie beschäftigt man in der Isolation die Kinder? Wie geht Homeoffice und Homeschooling zusammen? Wie verhindert man Vereinsamung, wenn man alleine lebt? Wie versorgt man ältere Familienmitglieder und Nachbarn? Und wie hilft die virtuelle Welt, Brücken zu schlagen zu anderen Menschen und in die Welt vor der eigenen Haustüre?

Diversitätsentwicklung hat immer etwas mit dem Abbau von Barrieren zu tun. Durch Corona entstehen auf einmal neue Barrieren. Menschen, denen bisher alle Türen offen standen, müssen sich umorientieren. Und andere, die erschwerten Zugang hatten, können jetzt einen Vorteil haben, wenn sie digital versiert sind.

Während ich bislang bei der Diversitätsentwicklung eine Schwerpunkt bei sprachlichen und physischen Zugangsbarrieren gesehen, spielen jetzt virtuelle Vernetzungen und Angebote eine größere Rolle. Und plötzlich sind wir alle ein Stück betroffen von Barrieren in diesem Bereich: Was passiert, wenn die elektronische Ausstattung nicht mehr mithalten kann mit den Anforderungen des virtuellen Alltags? Oder die eigenen Kenntnisse für Kontaktaufnahme, Vernetzung und Bestellung von Dienstleistungen nicht mehr ausreichen? Gerade dreht sich die Definition von Barrieren etwas um – bei aller Krisenstimmung und Angst findet ein spannender Perspektivwechsel statt.

Für mein Projekt stellen sich momentan verschiedene Herausforderungen, denn bei 360° dreht sich alles um den Kontakt, den physischen Kontakt. Zu den Mitarbeitenden und zum Publikum, durch Qualifizierungen, Veranstaltungen und Beteiligung. Jetzt muss ich umdenken, denn die bisherigen Planungen funktionieren so erstmal nicht mehr. Personalmaßnahmen wie Fortbildungen liegen vorerst auf Eis, denn nicht alles, was virtuell geht, ist in dieser Form auch sinnvoll. Ich muss mir jetzt überlegen, wie ich Organisationsentwicklung in einer Zeit betreibe, in der alles im Fluss ist und die normalen Abläufe sich neu sortieren, dem Krisenmodus unterworfen sind.

Trotzdem sehe ich auch Chancen in dem, was passiert. Denn jetzt, wo unmittelbarer Kontakt nur noch reduziert möglich ist und alles über das Internet läuft, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten, über virtuelle Communities und Formate mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und auch virtuelle und interaktive Veranstaltungen, wie sie schon in den einzelnen Abteilungen und Bereichen im Haus diskutiert werden, eröffnen spannende Perspektiven.

Wie sieht Diversitätsentwicklung unter den aktuellen Gegebenheiten aus? Ich weiß es nicht genau. Denn in die digitale Welt muss auch ich mich erst richtig einfinden. Aber ich freue mich darauf zu entdecken, zu lernen und zu experimentieren – zusammen mit allen anderen bei uns im Haus.

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